Frühling in Duisburg
Es ist April
Der Himmel ist traurig
Die Wolken sind weinerlich
Nur die Fabrikschornsteine Lachen in Duisburg
Je mehr Roboter an den Werktischen
Desto größer wird die Angst der schaffenden Hände
In den dunklen Ecken der Grünanlagen
Ist die Scham der Arbeitslosen
Nicht mehr zu verbergen
Wenn du nach Hoffnung fragst
Sie ist ein großer Luftballon
In der Kralle des preußischen Adlers
Er wird gleich platzen
Die Duisburger warten schweigend ab
In alten Arbeiterwohnungen
Die schützend nahe
Doch weit entfernt sind
Werden Väter mit leeren Bierflaschen
Und die Kinder mit “Micki — Maus” filmen
In der Nacht zum Schlafen gebracht
Ein armer Maler
Von dieser Landschaft erschreckt
Setzt sich ans Rheinufer
Er hockt vor der Leinwand
Und ruft den Frühling
Als ob eine Handvoll Sonne
Und ein paar kranke Knospen
Alles wiedergutmachen könnten .
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Rita
Rita arbeitet in der Bar an der Ecke
Ihre Augen sprechen Italienisch
Ihr Busen Griechisch
Ihre Hüften Türkisch
Ihre Lippen sprechen Deutsch
Sandro, Dimitris und ich
Wir drei Männer vom Mittelmeer
Alle sind in Kellnerin Rita
— Sie ist honigblond —
Bis über beide Ohren verliebt
Rita schenkt Schnaps aus
Flirtet mit jedem von uns zugleich
Uns gibt sie unechtes Lachen
Aber Hans einen wahren Kuß
Draußen regnet es Bindfäden
In uns weht ein warmer Südwind
In unseren Herzen sprudeln Sirtakis
Und Rita wünscht sich einen Tango
Es ist zwölf Uhr nachts
Meine Frau wartet jetzt sicher am Fenster
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frisches Gedicht
aus den vermissten Träumen
geerntet in langen Nächten
wachte ich auf und kam zu Dir
als der Morgen sich mit Regen wusch
im meinem Mund der Geschmack des Weins
auf den Lippen das Pfeifen
eines jungen Mannes
in der Tasche ein frisches Gedicht
und an meinen Fingern
die Spannung des Abzugs
mein Dichterherz wird
nie wieder schlagen
wenn ich dich nicht überzeugen kann
von der fruchtbaren Schönheit
des Liebens und des Lebens
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Rückblick
Was gegen das Ufer brandet,
sind nicht die Wellen
sondern unsere Träume,
um sie zu sammeln, kamen wir
einen Kontinent weit her
Was uns in der Hand bleibt
sind nur Kieselsteine und Algengeruch
Wir fragten nie
woher das Salz des Meeres kommt
Verbannt in die kalten Städte
überlassen wir unser Schicksal
dem Stern des Nordens
und vergessen die Wärme des Südens
Nun brennen unsere blassen Gesichter
in der Sonne des Mittelmeers
In der Kühle des Abends
sitzend in einer Strandbar
bei einem Glas kaltem Raki
versuchen wir zu vergessen,
die unerfüllten Träume
und die vergeudeten Jahre
in der Fremde
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Tagebuch des Exils
durch Gewalt wurdest du vertrieben
über Grenzen hinaus ins Exil
versperrt sind die Wege
die dich in die Heimat führen
ein Meer des Schweigens sind sie nun
die fernen Länder, in denen du Asyl suchst
einsamen Inseln gleich sind die großen Städte
in denen du zu Gast bist
die Wärme der Sonne
in diesem regnerischen Himmel
erreicht nicht dein Herz
die bunten Straßen, die du begehst
ängstigen dich wie Minenfelder
das stumpfe Messer der Sprachlosigkeit
entfremdet deinen Gruß
du sehnst dich nach ein paar Worten
die heimatliche Lieder auf deinen Lippen
sind Salz in deinen Wunden
nur drei Worte fließen aus deiner Feder
ins Tagebuch des Exils:
Abschied, Einsamkeit
und Hoffnung
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Aussteigen
eines müden Großstadtabends
möchte ich einen Punkt setzen
dem eintönigen Alltag des Lebens
und die nicht erlebten Jahre
die veralteten Träume
die noch blutenden Erinnerungen
ganz dick durch streichen
dann alles
was vom Leben und von der Hoffnung
übrig geblieben ist, in einen Koffer packen
am Bahnhof in den nächsten Zug einsteigen
und mit einer endlosen Reise
nach Süden beginnen
– die großen Kämpfe sollen die anderen weiterführen –
sagt dem Lokführer
er soll nur fahren, nie anhalten
in diesen kalten Ländern
und in den Großstädten
die nach Einsamkeit riechen
sobald die Morgensonne das Mittelmeer küsst
möchte ich erneut meine Jugendzeit umarmen
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Nikolaus
Euch Kinder
habe ich Liebe mitgebracht
aus meiner Heimat Myra in der Türkei
Liebe – so warm wie das Mittelmeer
und so groß, dass es für alle reicht
Euch Kinder
habe ich Glück mitgebracht
als ein kleines Geschenk
von alten Festtagesabenden
die lachenden Kindergesichter
Euch Kinder,
habe ich Freude mitgebracht:
Schattenspiele von Karagöz
Märchen vom Glatzkopf Keloglan
lustige Witze von Nasreddin Hodscha
Euch Kinder
habe ich Frieden mitgebracht
vom Berg Ararat weiße Tauben
von der Ägäis grüne Olivenzweige
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mit vierzig
Nie im Bett war uns so kalt wie jetzt
wir träumten nur von dem
was uns die Seele erwärmte
Im Himmel, der uns zudeckte
fehlten niemals die Sterne
So schweigsam waren wir nie
wir hatten viel zu erzählen
und redeten nächtelang
von der Philosophie, von der Revolution
und von der glücklichen Zukunft
Damals gab es die Wörter:
Verlieren
Irrtum
Alt werden
oder Sterben
nicht in unserem Wörterbuch
Nun haben wir Angst
vor der Zukunft
vor der Liebe
und vor dem Tod